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« Gerhard Wemssen aus Hamb wurde in der Ukraine gefunden  |   Bericht zur Grabungsreise in die Kalmückensteppe westlich von Wolgograd (Stalingrad) »

Die Zeit von 1942 - 1949

Balthasar Nußrainer, Landwirt aus Söcking bei Isen

Es war Anfang April 1942. Mein Jahrgang 1924 wurde von den Nationalsozialisten zum Arbeitsdienst und kurze Zeit später zur Wehrmacht einberufen. Da ich in der Landwirtschaft tätig war, bin ich erst nach der Ernte am 8. Dezember 1942 eingezogen worden.
18 ½ Jahre war ich alt als ich zu den Pionieren nach München in die Infanterie-Kaserne einrücken musste. In Oberwiesenfeld war unser Übungsplatz und in Freimann war der Ausbildungs-platz zum Scharfschießen. Die Ausbildung war sehr hart.
Am 21. Dezember 1942 sind wir Rekruten zur weiteren Ausbil-dung nach Frankreich verlegt worden. Der Abtransport erfolgte am „Laimer Bahnhof“. Um 9.00 Uhr abends gab es noch mal Fliegeralarm. Wir mussten aus den Waggons raus und in der Bahnhofs-Unterführung in Deckung gehen. Nach der Entwar-nung ging es dann um 11.00 Uhr nachts ab nach Südfrank-reich. Die Fahrt im Waggon dauerte mehrere Tage bis wir in Lyon in französische Kasernen einquartiert wurden. Der Fluss Saône war unser Wasserübungs- und Ausbildungsplatz. Die Ausbildung umfasste das Bauen von Brücken und Übersetzen mit Pontons und Schlauchbooten. Im Kasernenhof lernten wir die Panzernahbekämpfung, das Minen legen und das Anbrin-gen von Hafthohlladungen an Panzern. Die Ausbildung war interessant aber hart. Wenn der wachhabende Unteroffizier morgens zum Wecken pfiff, mussten wir alle unter die kalte Dusche. Wehe es hat sich einer gedrückt, der wurde beson-ders mit kaltem Wasser behandelt. Wir Rekruten waren ja zugleich als Besatzungssoldaten in Frankreich und mussten die Bevölkerung als Feind betrachten. Jeden Abend wurde eine Gruppe aus unserer Mannschaft zur Schleusenbewa-chung an die Seine abkommandiert. Die anderen mussten als Doppelposten die Bewachung des 150 Meter breiten Flusses und den Schleusen übernehmen.
Um Mitternacht ging mein Streifengang los. Wir lösten die bei-den Posten vor uns ab. Als wir den Steg einmal hin und zurück gegangen sind, ging das Wehr plötzlich um 0.15 Uhr in die Luft. Eine Mine, welche die Franzosen gelegt hatten, zerstörte das Wehr und den Steg. Wir hatten großes Glück, dass wir uns zum Explosionszeitpunkt gerade auf der sicheren Seite des Ufers befanden.
Das war mein erstes Kriegserlebnis – mit 18 ½ Jahren.
Wir wurden meistens von verwundeten Soldaten, die an der Front nicht mehr einsetzbar waren, ausgebildet. Wenn wir vom Wasserübungs- oder vom Ausbildungsplatz zu den Kasernen zurück marschierten und das Singen nicht so klappte, mussten wir uns in den Acker legen und robben. Die Kleidung war dann nass und voller Dreck. Nachmittags war immer Bekleidungs-appell. Mit nasser aber sauberer Kleidung mussten wir antre-ten. In Dijon war eine große Sendeanlage mit acht Sendetür-men, die von uns Pionieren bewacht wurden. Als Doppelpos-ten mit geladenem Gewehr und dem Finger am Abzug sind wir im 2-Stunden-Turnus um die Anlage gelaufen. Diese Nachtwa-chen haben viel Nerven und Blut gekostet. Immer wieder wur-den die Wachen von „Deutschfeindlichen“ überfallen und oft auch getötet. Nach Ende der Ausbildung wurden wir zur Be-satzung nach Belfort in Hochburgund verlegt.
Im April hatte ich noch kurzen Heimaturlaub, dann wurde ich von Traunstein aus an die russische Südfront, den Kubanbrü-ckenkopf am Fuße des Kaukasus geschickt. Die 4-tägige Fahrt ging über Polen nach Nikolajew in der Ukraine und weiter nach Kertsch einer Hafenstadt an der Krim. Während der 6-stündigen Schiffsfahrt nach Tarnapol herrschte starker Sturm mit 3-4 Meter hohen Wellen. Wir hielten uns auf Deck an ir-gendwelchen Gegenständen fest und mussten uns alle über-geben. Das Gepäck und wir waren tropfnass.
Am Anlegepunkt angekommen, konnten wir durch den aufge-wirbelten Sand kaum noch etwas sehen. Dann ging es los. Mit Gepäck und Ausrüstung marschierten wir vier Tage lang - je-den Tag 35 – 40 km - bis Krimskaja, am Fuß des Kaukasus.
Ein unheimliches Gefühl war es, als wir bei Nacht in die Stel-lungen und Gräben an vorderster Front von den kämpfenden Soldaten, die schon länger dort waren, eingewiesen wurden. Schon in den ersten Tagen und Nächten gab es Tote und Verwundete. Jedes Regiment hatte einen Pionierzug. Wir wur-den in Gruppen zu je zwölf Mann aufgeteilt und den verschie-denen Kompanien zugeteilt. Als Pioniere war es unsere Auf-gabe Minen zu verlegen und vor der Hauptkampflinie Minen zu suchen und zu entschärfen. Panzerbekämpfung mit den Hohl-ladungen hat nur der Gruppenführer gemacht. Es war ein Stel-lungskrieg am Kubanbrückenkopf. Die russische Stellung war ca. 500 Meter von uns entfernt. Immer wieder wurden uns zu-sätzlich noch Spähtrupps bei Nacht zugemutet. Diese Aufträge waren sehr gefährlich. Denn wer von den Russen erwischt wurde, dessen Leben war zu Ende. Die Hauptkampflinie war mit Laufgräben nach hinten zu den Bunkern verbunden. Der Hauptgraben war immer mit Posten belegt, die Wache hielten. Unheimlich war es bei Nacht, wenn wir das Essen 400 bis 500 Meter weiter hinten holen mussten. Die Stalinorgel mit ihren 42 Granaten am Stück und die Artillerie wechselten sich ständig ab. Während mein bester Freund Robert und ich einmal Essen für unsere Gruppe holten, kam eine Granatsalve von der Sta-linorgel direkt auf uns zu. Wir rannten noch in einen nahelie-genden Bombentrichter. Die einschlagenden Granaten ver-schütteten uns so mit Erdreich, dass wir große Mühe hatten uns zu befreien. Unsere ersten Worte waren: „Hat es dich er-wischt?“ Zum großen Glück hatten uns keine größeren Splitter getroffen. Die 42 Granaten der Stalinorgel, meistens mit Phos-phor gefüllt, hatten zwar keine so große Splitterwirkung, jedoch eine enorme psychologische Abschreckung. Das Essen für unsere Gruppe war natürlich nicht mehr zu gebrauchen.
Einmal kam der Befehl vom Bataillon, die Hauptkampflinie soll 200 Meter nach vorne, näher zur russischen Kampflinie, ver-legt werden. Immer zwei Mann mussten bei Nacht ein Loch graben und in diesem Loch tagsüber bleiben. In den kommen-den Nächten wurden dann Verbindungsgräben geschaffen. Doch eines Nachmittags kamen wir unter russischen Grana-tenbeschuss. Eine feindliche Granate schlug in dem Loch 20 Meter neben uns als Volltreffer ein. Einen Kameraden hat es rausgeworfen. Er war schwer verletzt und jammerte, doch wir konnten ihm nicht helfen. Wäre nur einer aus seiner Deckung gekrochen, wäre er mit einem gezielten Schuss vom Feind sofort getroffen worden. Zwei Stunden musste der Verwundete leiden, bis er schließlich starb. Den zweiten Kameraden haben wir im Loch tot aufgefunden. Erst bei Nacht war es uns möglich die Toten zurückzubringen.
Ein anderes mal trug ich einen verwundeten Kameraden auf dem Rücken zurück zum Verbandsplatz. Er hatte einen Ober-beindurchschuss und wahnsinnige Schmerzen. Während des Zurücktragens wurde ihm von den Scharfschützen nochmals in den Oberschenkel geschossen.
Am 22. Juli 1943 starteten die Russen einen Großangriff auf unsere Stellungen. Um vier Uhr morgens begann ein umfang-reiches Artillerie- und Granatenfeuer. Um sechs Uhr kamen dann zwei Tiefflieger, die die ganze Front einnebelten und schließlich rollten Panzer T 34 aus der Nebelwand hervor. Ausgerüstet mit MG und Panzerhohlladungen, saßen wir zu fünft im Graben. Die ersten beiden Panzer, die auf uns zusteu-erten, fuhren auf die von uns verlegten Minen. Sie wurden so geschädigt, dass sie nicht mehr fahren konnten. Mehrere Pan-zer überfuhren unsere Gräben. Den Panzern folgten schon die russischen Truppen. Es war ein furchtbares Morden, Jammern und Sterben auf beiden Seiten. Plötzlich bemerkten wir, dass sich etwa 30 Meter von uns entfernt einer der beiden Panzer, die zuerst auf unsere Minen fuhren, drehte. Er richtete sein Geschütz auf uns und feuerte sofort einen Schuss ab. Meine vier Kameraden wurden schwer getroffen und starben elend röchelnd und jammernd. Einer der Kameraden wollte mir, be-vor er heimging, noch etwas sagen, doch es fehlte ihm die Kraft dazu. Ich konnte keine Hilfe leisten, weil meine ganze linke Körperseite voll mit kleineren Splittern war. Am Ober-schenkel hatte ich mehrere große Splitter, so dass der Stiefel bis oben hin voller Blut war. Ich suchte im Graben noch nach Hilfe, aber dort waren nur Tote und Verwundete. Unser Kom-paniechef, der auch im Graben lag, hatte einen Kopfschuss. Ich schleppte mich zurück in einem kleinen Verbindungsgra-ben, der rückwärts in eine Mulde führte. Dort blieb ich liegen. So geschwächt wie ich war, konnte ich nicht mehr weiter. Hilfe zu bekommen war aussichtslos. Schließlich fiel ich in Ohn-macht. Als ich wieder erwachte, sah ich oberhalb der Mulde, etwa 20 Meter von mir entfernt, die Russen mit Maschinenge-wehren und aufgesteckten Bajonetten auf den Gewehren in gebückter Haltung vorgehen. Mein Gedanke war nur noch: „Wenn die mich sehen, ist mein Leben zu Ende.“ In meiner Todesangst flüsterte ich: „Heilige Maria, Mutter Gottes, hilf mir, du kannst es!“ Durch starken Blutverlust war ich so ge-schwächt, dass ich nicht mehr weiß, wie lange ich da lag. Doch nach einiger Zeit hörte ich plötzlich Stimmen. Zuerst glaubte ich es seien die Russen. Aber Gott sei Dank, es waren Kame-raden die in der Schlacht zuvor nicht mitkämpfen mussten und nun mit Unterstützung von Sturmgeschützen und Stuka-Fliegern die Front wieder zurückerobert hatten. Schließlich wurden die Toten und Verwundeten, darunter auch mein bes-ter Kamerad Robert, geborgen. Es war wirklich ein Wunder, dass ich gerettet wurde. Zwei leicht verwundete Kameraden haben mich auf einer Trage mit Rädern zum Hauptverbands-platz gefahren. Dort hörte man nur noch das Jammern, Stöh-nen und Röcheln der vielen Verwundeten. Die Ärzte, welche die nötigsten Operationen und Amputationen durchführten, waren voller Blut. Bei mir wurden zunächst die äußeren Splitter entfernt. Ein Splitter, der meine Lunge leicht verletzte, so dass ich Blut erbrechen musste, konnte Gott sei Dank ohne größere Operation entfernt werden.
Ich kam nach Nikolajew ins Lazarett. Nach einem Aufenthalt von zehn Tagen wurde ich mit einer JU 52 nach Lemberg, e-benfalls noch in der Ukraine, geflogen. Erst nach weiterer mehrtägiger Zugfahrt kam ich schließlich im Westen Deutsch-lands, in Landstuhl bei Kaiserslautern im Heimatlazarett, an. Dort wurden noch operativ einige Splitter herausgeholt. Eine mehrmonatliche Behandlung schloss sich an. Wieder einiger-maßen auf den Beinen wurde ich vom Lazarettarzt „garnisons-diensttauglich in der Heimat“ geschrieben. In Hammelburg bin ich den Landesschützen zugeteilt worden. Dort mussten wir ein Gefangenenlager mit 200 russischen Kriegsgefangenen bewachen.
Im Januar 1944 befand mich eine ärztliche Kommission wieder „frontdiensttauglich“. Ich wurde in die Tschechei befohlen, wo in Jitschin bei Prag neue Marscheinheiten zusammen gestellt wurden. Meine Einheit nannte sich Regiment der 282 der 98sten Infanteriedivision. Viel Schnee lag in Böhmen, als der aufgestellte Frontnachschub in Prag verladen wurde. Der Bahntransport durchquerte Ungarn, ein Stück von Rumänien und endete in der Stadt Galatz an der Donau. Von dort flogen uns 42 Kampfflugzeuge vom Typ ME 110 über das Schwarze Meer auf die Halbinsel Krim. Bei der Landung in Simferopol lag das Rollfeld des Flugplatzes unter russischem Artilleriefeuer. Die Stadt war schon Kampfgebiet, in dem die Russen bereits die Oberhand hatten. Wir kamen zu unseren Einheiten und mussten sofort mitkämpfen. Durch die Übermacht des Feindes wurden wir schon bald unter ständiger Raumaufgabe nach Sewastopol zurückgedrängt. Unter gewaltigem Beschuss der russischen Artillerie ist am 9. Mai 1944 die Stadt Sewastopol in die Hände der Russen gefallen. Diese Stadt, an der langen Steilküste des Schwarzen Meeres gelegen, wurde uns schon bald zur ausweglosen Falle. Vor uns die Russen und hinter uns die Steilküste mit dem Meer. Wir bekamen den Befehl un-bedingt die Stellung zu halten. Hilfe sollte demnächst vom Meer eintreffen. Die ranghöheren Offiziere aber hatten sich alle rechtzeitig mit dem Flugzeug abgesetzt. Drei Tage dauerte der Kampf und es wimmelte nur so von Soldaten. Viele gingen als letzte Rettung die Steilküste hinab ins Meer.
Ein Kamerad und ich sind in eine Höhle an der Steilküste ge-krochen, um vor den Granaten und Bomben, die ununterbro-chen einschlugen, Schutz zu suchen. Am Eingang der Höhle landete ein Volltreffer und wir zwei waren eingeschlossen. Mit unserem Klappspaten konnten wir uns nach längerem Graben und Scharren wieder befreien. Einige Nebelwerfer waren auf unserer Seite noch im Einsatz. Viele Waffen und Geschütze wurden auf Befehl an die Steilküste gefahren und versenkt. Ebenso wurden Hunderte von Pferden an der Steilküste er-schossen und ins Meer geworfen, um sie den Russen nicht zu überlassen. Auch ich ging noch vor der Kapitulation ins Meer.
Es waren grausame und unbeschreibliche Tage an der Steil-küste bei Sewastopol. Der Granatenhagel und die Flie-gerangriffe dröhnten in unseren Ohren. Das Meer war voller schwimmender Soldaten und toter Pferde, die mit ihren aufge-blähten Panzern nicht untergehen konnten. Die schwimmen-den Pferde haben vielen Kameraden das Leben gerettet. Ein Zugführer aus unserer Einheit zog sein Hemd aus und hing es ans Gewehr, als Zeichen dafür, dass der Kampf an der Steil-küste zu Ende ist. Doch trotzdem flogen immer wieder russi-sche Flieger über das Meer und schossen mit ihren Bordge-schützen in die Menge der schwimmenden Soldaten. Viele Verwundete lagen noch an der Küste, bekamen aber keine Hilfe. Es gab keinen Ausweg oder Rettung mehr. Einige Kame-raden nahmen sich in ihrer Verzweiflung das Leben. Andere, die schwer verwundet waren und sich nicht mehr wehren konn-ten, wurden von russischen Soldaten sofort erschossen.
Am 12. Mai um 11 Uhr mittags war die Schlacht am Schwar-zen Meer zu Ende. Fünf Divisionen wurden aufgerieben. 50.000 Tote und Gefangene waren die traurige Bilanz vom Kampf auf der Krim. Die Überlebenden, zu denen ich mich - Gott sei Dank - auch zählen durfte, wurden von den Russen gefangen genommen. Doch nach der Schlacht dauerte es noch Tage bis wir vom Meer die Steilküsten wieder hinauf ka-men. Das Salzwasser hatte unsere Kleidung völlig durchdrun-gen. Das Meer war eine Kloake und gefüllt mit Leichen und toten Pferden. Mein Zugführer, ein Stabsfeldwebel, hatte noch weinend ein Bild von seiner Frau und seinen drei Kindern in der Hand. Ein russischer Soldat nahm ihm das Bild weg, zeriss es und gab ihm einen Tritt in den Bauch, so dass er zu Boden fiel. Ein Unteroffizier der russischen Armee schlug mir mit der Maschinenpistole in das Gesicht, weil ich den Gefreitenwinkel am rechten Waffenrockärmel nicht entfernt hatte. Mehrere Zähne waren gebrochen. Uns Gefangenen wurde alles abge-nommen, unsere Uhren, das Kochgeschirr, Essbesteck und die Lebensmittelvorräte. Das Gepäck war noch voll mit Zigaret-ten, Schokolade und Brotkonserven, weil wir ja erst angekom-men waren. Die Waffen hatten wir alle weggeworfen. So blieb uns schließlich nur mehr die vom Wasser getränkte Kleidung. Einigen Kameraden, die noch Stiefel hatten, mussten diese ausziehen und mit Socken oder barfuß mitlaufen.
Nachdem die Russen uns zu Gruppen von je 1000 Mann ein-teilten, ging die Treibjagd los. Sechs Tage sind wir ohne Essen und Trinken, von vielen Wachposten begleitet, die Halbinsel entlang in Richtung Norden getrieben worden. Ständig wurde „Dawai, Dawai“ geschrieen, was auf russisch „los, schneller, schneller“ bedeutet. Einige Kameraden sind vor Durst in Bom-bentrichter, in denen etwas Wasser war, gesprungen. Sie wur-den von den Wachposten sofort erschossen.
Wir kamen in der durch den Krieg schwer zerstörten Stadt Sta-lino, auf der Halbinsel Krim, an. Die zerschossenen Häuser, meist ohne Dach, waren unsere Unterkünfte. Das Essen, be-stehend aus rohen stinkenden Fischchen, wurde mit einem Lastwagen angeliefert und auf den Boden gekippt. Wir konnten sie trotz unseres großen Hungers nicht essen. Zehn Tage gab es nichts anderes als diese „wunderbaren“ Fischchen. Zuletzt fraßen wir sie komplett mit Kopf und Gräten auf. Für je 15 Mann gab es einen Holztrog und einen Löffel. Es gab Suppe mit exakt abgezählten Maiskörnern, die nicht gekocht waren. Wenn wir heimlich Laub oder Gras finden konnten, aßen wir dieses.
In Stalino war die erste Baustelle, wo wir Gefangene Zwangs-arbeit verrichteten. Ein Kamerad und ich mussten, gehetzt von Wachposten mit Prügeln und Gewehrkolben, große Felsen-steine über 4 Treppen nach oben schleppen. Der Kamerad, der mit mir die Steine trug, war sehr groß, ganz schlank und wie ich 19 ½ Jahre alt. Ihm ging die Kraft aus und er brach auf der Treppe immer wieder zusammen. Der wütende Bewacher ließ meinen Kameraden mit angewinkelten Knien auf den Bo-den sitzen, band ihm Hände und Arme zusammen und schob ihm schließlich noch einen Stock unter die Kniekehlen, um meinen Kameraden noch bewegungsloser zu machen. So musste er den ganzen Tag in der glühenden Sonne verbrin-gen. Abends wurde uns befohlen, den Kameraden zu holen und mit ins Lager zu tragen. Er konnte durch die Fesseln we-der stehen noch gehen.

Jeden Tag mussten wir auf die Arbeitsstelle. Anfang Juni fehl-ten eines Abends beim Durchzählen der Gefangenen, das je-des Mal vor dem Rückmarsch ins Lager stattfand, vier Mann. Nun ging es los. Die Aufseher drohten uns, dass, wenn wir nicht sagen würden, wo die vier Gefangenen sind, jeder zweite erschossen wird. Doch niemand sagte etwas. Die Russen suchten mit Hunden in den naheliegenden Bombentrichtern nach ihnen. In einer Grube hatten sich die vier Männer ver-steckt. Sie wurden vor unseren Augen brutal geschlagen, am Boden liegend in den Bauch und in die Geschlechtsteile getre-ten, mit Bajonetten gestochen und von den Hunden gebissen.
Wir mussten die zu Tode gefolterten Kameraden auf Tragbah-ren legen und mit in das drei Kilometer entfernte Lager neh-men. Der Rückmarsch war eine richtige Treibjagd. Jeder wollte in der Mitte der Rotte gehen, um nicht von den Hunden in die Beine gebissen zu werden oder Schläge von den Bewachern zu bekommen.
Am Lagertor angekommen mussten wir einen Halbkreis ma-chen und die vier Toten in die Mitte legen. Wir wurden gefragt, ob noch jemand fliehen wolle – doch niemand gab eine Ant-wort.

Nach ein paar Wochen wurden wir in andere Arbeitsgruppen eingeteilt. Einige fürs Kohlebergwerk, andere in Bautrupps o-der so wie ich für die Kohlewäscherei.
Nach drei bis vier Wochen kamen die ersten Krankheiten zum Ausbruch. Immer mehr Gefangene wurden von Ruhr und Ty-phus befallen. In wenigen Wochen waren schon die ersten To-ten zu beklagen. Unsere Kleidung löste sich durch das Salz-wasser vom Schwarzen Meer auf. Wir hatten nichts mehr zum Anziehen und arbeiten konnten wir auch nicht mehr. Die Kran-ken lagen zum größten Teil nackt am Boden und die täglichen Sterbefälle wurden immer mehr. Den Toten wurden die Kleider ausgezogen und jenen Gefangenen gegeben, die nur noch kaputte Fetzen hatten. Die gesunden Kameraden wurden vom Wachpersonal eingeteilt, um die nackten Toten mit einem Drahthaken an den Füßen aus dem Lager zu ziehen und weg-zubringen. Ich hab es nicht gesehen, aber es wurde mir er-zählt, dass sie am Bahndamm ohne Erkennungsmarke oder Namen - denn wir waren nicht namentlich registriert - ver-scharrt wurden.

Im Juli 1944 kam von der russischen Leitung der Befehl, dass alle transportfähigen Gefangenen nach Kiew zum Propagan-damarsch müssen. Wir wurden zu je 45 Mann in Waggons ohne Sitzgelegenheit verladen und obwohl der Wagen zuge-sperrt war, jeden Tag gezählt. Dabei waren alle Gefangenen auf einer Seite und zwei russische Posten in der Mitte des Waggons. Einer nach dem anderen musste die Seite wech-seln, während die Russen jedem einen Schlag mit dem Prügel über Rücken oder Kopf verpassten. Wenn das Ganze nicht geklappt hat, ging es nochmals von vorne los und wurde oft bis zu dreimal wiederholt. Zu Essen bekamen wir ein Stück tro-ckenes Brot und Salzfisch ohne Wasser. Das schlimmste aber war der Durst.
In Kiew sind wir ausgeladen und durch die Stadt getrieben worden. Es war ein furchtbares Bild. Viele waren schon von der Ruhr Krankheit angesteckt. Von der Bevölkerung wurden wir beschimpft, bespuckt und mit Urin aus den Nachttöpfen beschüttet. Auf der Rückfahrt regnete es und der Waggon war nicht ganz dicht. So konnten wir wenigstens einige Wasser-tropfen auffangen und unsere Zungen ein bisschen anfeuch-ten. Dann kamen wir wieder in das Lager Stalino zurück.

Im September 1944, nach 5 monatiger Gefangenschaft, waren von den 2.000 Mann in unserem Lager nur noch 600 Mann am Leben. Doch viele von den Überlebenden waren auch schon krank und erschöpft. Eine Kommission, die das Lager besich-tigte, ließ den Rest der noch lebenden Gefangenen nach Astrahan an der Wolgamündung in Krankenbaracken bringen. Nach einigen Tagen ging es mit einem Radschaufel-Dampfer wolgauaufwärts nach Wolsk. Wir waren ca. sechs Wochen mit dem Dampfer unterwegs, auf dem die Verpflegung besser und ausreichend war. In Wolsk sind wir in einem Krankenlager zu je 40 Gefangenen in einen Saal gekommen. Wir lagen alle auf dem Boden und bekamen zwar eine Decke aber kein Kissen. Ein Holzlöffel war alles was wir besaßen. Das Pflegepersonal bestand aus älteren russischen Frauen. Das Essen war aus-reichend und jeden Morgen erhielten wir ein in ein Zeitungspa-pier verpacktes weißes Pulver. Das Medikament sollte die Ruhr und die Typhus Krankheit heilen. Wer sich schon kräftig genug fühlte, konnte zum Waschen gehen. Alle sechs Wochen kam eine ärztliche Kommission, meist Frauen, um uns zu be-gutachten. Wir mussten dann nackt antreten und wurden be-sichtigt und betastet, ob wir schon wieder arbeitsfähig sind. Am 23. Dezember kam dann wieder eine Kommission, die die bes-ten 60 Mann für den Abtransport in ein Arbeitslager bestimm-ten. Auch ich gehörte dazu.
Morgens am 24. Dezember 1944 wurden die 60 Mann aufgeru-fen und ohne Essen in einen Keller gesperrt. Im Laufe des Ta-ges erhielten wir eine Arbeitskleidung, bestehend aus einer Wehrmachtshose und Jacke, Leinen-unterwäsche, Holzschuhe und einen abgetragenen Russenmantel mit Pelzmütze. Wir bekamen weder Pullover, Socken noch Handschuhe. Um 7 Uhr abends kamen zehn Wachposten mit Hunden. Ohne Es-sen ging es los. 28 Kilometer mussten wir mit den Holzschu-hen bei minus 25 Grad Kälte durch Schnee und Eis gehen. Es war eine Treibjagd mit Geschrei der Aufseher – Dawai, Dawai, zu deutsch – schneller, schneller. Jeder der Gefangenen wollte wieder in die Mitte des Zuges, um nicht die Schläge der Posten abzubekommen oder von den Hunden in die Waden gezwickt zu werden. Zwei Kameraden hatten sich den Fuß verstaucht und mussten von uns getragen werden.
Um ½ 2 Uhr morgens erreichten wir das Arbeitslager. Total erschöpft und erfroren kamen wir in einen Keller, der außer-halb des Lagers war, um dort gefrorene Kartoffeln zu schälen. Um 7 Uhr morgens gab es das erste Essen – Krautsuppe. Nach dem Essen sind wir zur Arbeit in eine, 4 km vom Lager entfernte Zementfabrik gegangen. In der Halle der Fabrik gab es viel Staub und ich musste ohne Maske am Elevator Zement einschaufeln. Ohne Mittagessen arbeiteten wir den ganzen Tag durch. Das Hauptlager war mit 2000 Gefangenen, meist Deutsche, Ungarn und Rumänen belegt. Die deutsche Lager-leitung war uns Kameraden gegenüber äußerst brutal und ge-mein. Da das Lager nicht geheizt war, waren wir so am Unter-leib erkältet, dass wir das Wasser nicht mehr halten konnten. Die Hosen waren vollkommen durchnässt und voll Eis und an den Oberschenkeln wurden wir wund. Nachts mussten wir oft zur Latrine gehen, die 30 – 40 Meter vom Lager entfernt war. Doch meist kamen wir gar nicht soweit und es ging schon wie-der in die Hose. Im Bad, das etwa 50 Meter vom Lager entfernt war, hingen Eiszapfen von der Decke und das Wasser zum Waschen war eisig kalt. Eines Abends kam der Befehl, dass die Bekleidung unserer Gruppe entlaust wird. Denn Läuse hat-ten wir ja alle genug. Die ganze Kleidung wurde bis auf die Russenmäntel eingesammelt und so mussten wir die Nacht ohne Kleidung und Decken verbringen. Erst am Morgen erhiel-ten wir unsere Kleider zurück. Der Berger Franz aus Übersee am Chiemsee, der heute noch lebt, war in dieser Nacht mein Begleiter. Zum Schutz gegen die eisige Kälte machten wir uns für den Oberkörper aus Zementsäcken Papierwesten, um so die Kälte wenigstens etwas abzuhalten. Die Füße umwickelten wir mit Lumpen und Papier. Die Hände wurden mit altem Fett eingeschmiert und die Ärmelstülpen des Mantels waren unsere Handschuhe.
Im Februar 1945 wurde ich in das Hospital in Saratow mit einer doppelseitigen Lungenentzündung eingeliefert. Ich hatte hohes Fieber und war mit meinen 37 Kilo, die ich noch wog, total un-terernährt. Nach meiner Genesung kam ich in ein Krankenla-ger nach Engels in der Nähe von Saratow. Das war eine wol-gadeutsche Stadt, wo aber keine Wolgadeutschen mehr leb-ten, weil sie alle nach dem Krieg in den Ural oder nach Sibi-rien umgesiedelt wurden.
Die Behandlung dort war uns gegenüber nicht sehr freundlich. Morgens ging der Aufseher mit der Reitpeitsche durch den Gang des Lagers und schlug mit dieser auf unsere Köpfe ein. Nach meiner Gesundung wurde ich verschiedenen Arbeits-gruppen auf Kolchosen und Waldkommandos eingeteilt. Ein-mal waren wir z.B. für mehrere Tage auf einer Kolchose und mussten mit einer deutschen Mähmaschine der Firma Krupp Gras mähen. Kamele zogen die Maschine und im Freien wur-den große Heuhaufen errichtet.

Im September 1945 wurde ich durch eine Kommission wieder für arbeitsfähig erklärt und mit weiteren 60 Mann nach Kubi-schew im Ural in den Steinbruch verlegt. In einem Bunkerlager waren wir untergebracht und die Arbeit im Steinbruch war sehr schwer. Wir mussten die Steine in Loren zu den Bahngleisen schieben, um damit die Waggons zu beladen. 1945/1946 war ein sehr kalter Winter. Da wir und auch das Wachpersonal kein Brennmaterial hatten, mussten immer zwei bis drei Mann mit ihnen nachts Holz stehlen.
Als wir am Hl. Abend 1945 von der Arbeit im Lager eintrafen, kamen vom Hauptlager 3 Gefangene mit Musikinstrumenten zu uns. Sie spielten das Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ und alle Gefangene sangen mit. Nach der 2. Strophe allerdings war es nur noch ein Summen und Schluchzen. Denn jedem kamen die Tränen, weil er sich an die Heimat erinnerte.
Das Essen war recht wenig. Man konnte nichts dazu „einheim-sen“, weil überall nur Steppe und es weder einen Baum, Strauch noch Gras gab.
Ende Januar 1946 ist im Lager die Lauskrankheit und das Fleckfieber ausgebrochen. Wir alle hatten soviel Läuse aber kein Wasser zum Waschen. Und noch dazu kam, dass unsere langen Haare und der Bart die Verbreitung der Krankheiten begünstigten. Bei Fleckfieber hat man bis zu 41 Grad hohes Fieber. Viele Kameraden haben nichts mehr gesehen und manche wurden sogar bewusstlos. Ich selber habe das Gehör verloren. Innerhalb von 10 Tagen starb die Hälfte der Kame-raden. Ich wurde mit den Überlebenden in das Hospital nach Saratow weggebracht. Dort bekam ich eine Bluttransfusion und nach fünf Monaten habe ich mich wieder einigermaßen gut erholt.
Dass ich das Ganze überlebt habe, erschien mir wie ein zwei-tes Wunder.
Im Juli 1946 wurde ich wieder arbeitsfähig geschrieben. Ich kam in das Hauptlager nach Saratow und wurde einem 40 Mann starken Bautrupp zugeteilt. Jeden Tag wurden wir mit einem amerikanischen Lastwagen abgeholt und zu einer Bau-stelle gebracht, wo ich als Mauerer gearbeitet habe. Auf der Baustelle erhielten wir sogar ein Mittagessen. Ich habe mir die russische Sprache schnell angeeignet und mich mit den russi-schen Arbeitern gut verstanden. Wir mussten in 5 Jahren eine Kaserne, eine Offiziersschule, Magazine und einen Schieß-stand bauen. Aber trotz der besseren Arbeits- und Lagerver-hältnisse überkam uns immer wieder das Heimweh. Denn wir wussten ja nicht, ob wir jemals unsere Heimat wiedersehen werden. Im Winter mussten wir bei bis zu 30 Grad unter Null auf dem Bau arbeiten. Dabei wurde sowohl der Sand und auch das Wasser in Spezialöfen heiß gemacht, damit wir auch bei diesen Temperaturen mauern konnten. Wenn es aber noch kälter war, mussten wir auf der Wolga eingefrorene Baum-stämme mit Brechstangen aus dem Eis herausbrechen. Das war bei dieser Kälte eine furchtbare Arbeit. Die herausgebro-chenen Baumstämme waren 12 – 15 Meter lang und mussten von uns zum 4 km entfernten Sägewerk gebracht werden. Je-weils 15 Mann zogen gemeinsam einen Stamm, indem sie mit einem Draht an ihm angehängt waren. Auf dem Rückweg hat-ten dann immer 3 Mann zusammen ein Brett zu tragen, was von den Wachposten streng kontrolliert wurde. Wenn es wie-der wärmer wurde, ging es wieder auf den Bau zurück. Der russische Bauleiter, Natschalig genannt, hatte zu mir und zu den deutschen Gefangenen großes Vertrauen. Er kam aus dem russischen Hinterland, wo sich der Krieg nicht abgespielt hatte. Von dort waren die Leute viel freundlicher zu uns Deut-schen.
Oft habe ich an zu Hause und an meine Angehörigen gedacht. Wir wussten ja gar nicht, was in der Heimat geschehen war. Denn seit 20. Januar 1944 war die Verbindung mit meinen El-tern, Geschwistern und mit der Heimat abgebrochen. Im Au-gust 1947 durfte ich das erste Mal, wenn auch nur 25 Worte, nach Hause schreiben. Am Hl. Abend 1947 erhielt ich dann die erste Nachricht von zu Hause, was für mich das größte Weih-nachtsgeschenk war.
Im Winter 1946/1947 habe ich mir die linke Ferse erfroren und bis zur Wade war der Fuß schwarz und gelb. Aber die Lager-ärztin hat mich nicht krank geschrieben und ich musste trotz-dem zur Arbeit gehen. Die Kameraden haben mich getragen, da ich es vor Schmerzen in keinem Stiefel oder Schuh aushal-ten konnte. Den Fuß habe ich mit Lumpen und Papier umwi-ckelt und mit Draht festgemacht. Die Ärztin hat mich als Simu-lanten hingestellt. Ein Lagersanitäter hat mich abends immer mit Schnee massiert und so wurde es langsam wieder besser. Es war wirklich ein Wunder, dass der Fuß wieder gesund wur-de. Die Lagerärztin hat uns Deutsche gehasst. Am liebsten hätte sie uns alle verhungern und erfrieren lassen.
Fünf Winter habe ich in Russland durchgehalten. Man kann es fast nicht glauben, dass so etwas bei solchen Bedingungen überhaupt möglich ist.
Eines möchte ich noch erwähnen. Ich war ein guter Organisa-tor und konnte mich mit den russischen Zivilarbeitern und un-serem Vorarbeiter Natschalig gut verständigen. Ich durfte jede Woche zum Basar, einem russischen Markt gehen, um Nägel oder Holz gegen Essbares, Öl und Brot einzutauschen.
Einmal ging ich mit einer Packung Holz unter dem Pelzmantel zu einer Frau, die mir immer Brotreste gab. Sie war eine sehr religiöse Frau und ihr war bald klar, dass ich auch ein Katholik bin. Sie zeigte mir Ikonen, die sie versteckt hatte. Auf einmal kam ein hoher Offizier zu ihr ins Haus. Ich erschrak so, dass ich fast nicht mehr reden konnte. Mein einziger Gedanke war nur noch: „Jetzt kommst du ins Straflager!“ Es war ihr Ehe-mann. Die Frau hatte mich sehr verteidigt. Sie sagte, dass ich auch ein Christ sei und großen Hunger habe. So hat sie es tatsächlich fertig gebracht, dass ihr Mann wieder ging und ich frei in das Lager zurückkehren konnte. Das werde ich ihr nie vergessen!

Im Frühjahr 1949 gingen Gerüchte im Lager um, es seien Heimtransporte deutscher Gefangener gesehen worden. So war es, und am 20. März 1949 ist es auch in unserem Lager bekannt geworden, dass einige in die Heimat entlassen wer-den. Ungefähr die Hälfte wurde namentlich aufgerufen. Ich war bei den glücklichen Heimkehrern. Ca. 600 Mann mussten noch im Lager zurückbleiben.
Wir erhielten gebrauchte russische Kleider und konnten uns waschen, rasieren und die Haare schneiden. Am 23. März marschierten wir, diesmal ohne Wachposten zum Bahnhof und wurden zu je 40 Mann in einem Waggon untergebracht. Es gab zwar einen Ofen, aber kein Brennmaterial. Um diese Jah-reszeit war es immerhin noch minus 25 Grad kalt.
Am 25. März 1949 zog die Lokomotive an und wir haben Sara-tow für immer verlassen. Wir waren uns noch nicht sicher, ob es wirklich Richtung Heimat ging. Am 4. April erreichten wir Brest-Litowsk an der russisch-polnischen Grenze. Fünf Jahre russische Gefangenschaft lag hinter mir. Wir wurden nochmals namentlich erfasst, um zu prüfen, ob nicht jemand dabei ist, der vorbestraft oder bei der SS war. Der Transport ging dann weiter nach Hof-Mordorf. Dort erfolgte eine ärztliche Untersu-chung um die gesundheitlichen Schäden festzustellen. 60 % Gesundheitsschaden wurde in meinem Entlassungsschein eingetragen. Jetzt konnte ich weiter nach München reisen. Der erste Gang in der Freiheit führte mich zu meiner Schwester Paxentia die als Ordensfrau im Krankenhaus rechts der Isar arbeitete. Dort gab es ein herzliches Wiedersehen. Danach, am 9. April, fuhr ich per Anhalter nach Hohenlinden, meinem Heimatort. Ich hatte das Gefühl: Das ist dein zweiter Ge-burtstag. Meiner geschwächten Gesundheit wegen ließ ich mich in das Sanatorium Oberölkofen einweisen, wo ich gründ-lich untersucht wurde.
Fast sieben Jahre war ich von meiner Heimat weg. Das waren meine Jugendjahre.

Aufgeschrieben im April 2006
von Balthasar Nußrainer


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Der Beitrag wurde am Montag, den 9. Juni 2008 um 21:21 Uhr unter der Kategorie Erinnerung veröffentlicht. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen und selbst einen Kommentar schreiben.

Eine Reaktion zu “Die Zeit von 1942 - 1949”


  1. Ludwig Egner

    Kann man feststellen ob mein mittlerweile verstorbener Patenonkel Ludwig Egner auch in diesem Lager war. Er müßte auch 1949 entlassen worden sein. Er stammte aus Worms.


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