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Kriegsende 1918 - Atempause für den Weltuntergang

Mit der Kapitulation Deutschlands endete am 11. November 1918 der Erste Weltkrieg.

Millionen Menschenleben hatten die Militärs des Kaisers da für ihre Weltmachtträume verheizt. Die Verantwortung für die Niederlage schanzten sie gerade noch rechtzeitig den Zivilisten zu - mit fatalen Folgen.

Die Atmosphäre war eisig. Was die Herren wollten, herrschte Marschall Ferdinand Foch die vier Deutschen an, die am Freitag, dem 8. November 1918, morgens um 9 Uhr in einem Salonwagen mitten im Wald beim nordfranzösischen Compiègne erschienen waren. Das Begehr der Delegation - ein Zivilist, drei Militärs - kannte der alliierte Oberbefehlshaber nur zu gut. Doch die Worte wollte Foch aus dem Mund der “Boches” selbst hören: die Bitte um einen Waffenstillstand.

Dann trug der Generalissimus seine Bedingungen vor: sofortiger Abzug der deutschen Truppen aus Frankreich, Belgien und Luxemburg; Preisgabe Elsass-Lothringens, des linken Rheinufers sowie der Städte Mainz, Koblenz und Köln; Verzicht auf den Friedensvertrag von Brest-Litowsk mit Russland, Internierung der Flotte, Herausgabe von 5000 Kanonen, 25.000 Maschinengewehren, 3000 Minenwerfern und 1700 Flugzeugen, dazu die Ablieferung von 5000 Lokomotiven und 150.000 Eisenbahnwagen.

Foch gab den Deutschen 72 Stunden Zeit, um zu unterschreiben und verschwand.

Das kam der bedingungslosen Kapitulation gleich. Verzweifelt versuchte der deutsche Delegationsleiter, Staatssekretär Matthias Erzberger, Berlin zu erreichen um Instruktionen zu erhalten - doch in Deutschland war inzwischen die Revolution ausgebrochen. Strahlend hielten französische Soldaten Erzberger am Morgen des 10. November eine Zeitung entgegen. “Der Kaiser hat abgedankt”, lautete die Schlagzeile. In Berlin war die Republik ausgerufen worden; die Regierung, die Erzberger entsandt hatte, existierte nicht mehr. Dann erhielt er aus dem Hauptquartier der Obersten Heeresleitung im belgischen Spa die dringende Nachricht von Paul von Hindenburg: ein Waffenstillstand sei unabdingbar, auch um jeden Preis. Um 5 Uhr morgens am 11. November setzte Erzberger seine Unterschrift unter das Dokument, das die deutsche Niederlage besiegelte.

Die Urkatastrophe unserer Zeit

So schwiegen ab 11 Uhr die Waffen, endlich. Nach vier Jahren, drei Monaten und elf Tagen, in denen sich Europa in einen besinnungslosen Blutrausch ohne Beispiel hineingesteigert hatte, endete an diesem Vormittag vor nunmehr 90 Jahren der Erste Weltkrieg - ein gigantisches Gemetzel, das 15 Millionen Menschen das Leben und 20 Millionen die Gesundheit kostete, vier Imperien - Deutschland, Russland, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich - in den Abgrund riss, Amerika zur Weltmacht erhob und Kräfte des Bösen entfesselte, die Europa zwischen 1914 und 1945 in einen “zweiten Dreißigjährigen Krieg” stürzten, so der Historiker Hans-Ulrich Wehler.

Und noch immer, nahezu ein Jahrhundert und einen weiteren, verheerenden Weltkrieg später, gilt die Zäsur von 1914/18 als die “Urkatastrophe” unserer Zeit.

Es war ein Krieg, wie er so noch nie zuvor geführt worden war:

Aus der Luft bombardierten erstmals Flugzeuge gegnerische Städte im Hinterland, unter Wasser torpedierten U-Boote rücksichtslos Handelsschiffe.

Zu Lande traten nie gesehene Millionenheere gegeneinander an und waren bald im zähen Stellungskrieg ineinander verkeilt.

Fürchterliche neue Waffen forderten einen unvorstellbaren Blutzoll: Maschinengewehre mit 600 Schuss pro Minute, heimtückisches Giftgas, Panzer und eine Artillerie, deren Feuerwalzen Mal um Mal die Kampfzone umpflügten und in eine blutige Knochenmühle verwandelten.

Auf dem Schlachtfeld von Verdun gingen zwischen Februar und Dezember 1916 durchschnittlich 10.000 Granaten in der Stunde nieder. An der Somme belegten die Alliierten Anfang Juli 1916 jeden einzelnen Quadratmeter der deutschen Stellungen mit durchschnittlich einer Tonne Sprengstoff. Die Hälfte aller Weltkriegstoten starb im Artilleriefeuer - “zerrissen, in Stücke gehackt, zu Brei gestampft” wie es in einem Feldpostbrief von damals heißt. Viele verschwanden spurlos; in Verdun etwa lag die Zahl der Vermissten beinahe doppelt so hoch wie die der Gefallenen. Bald erreichten die Opferzahlen unvorstellbare Dimensionen: Die Somme-Offensive kostete die Briten 8000 Mann in der ersten halben Stunde, 19.000 am ersten Tag. Die gesamte Schlacht forderte auf allen Seiten 1,2 Millionen Tote, Vermisste und Verwundete.

Blutige Abnutzungsstrategie

Doch gegen die blutige Abnutzungsstrategie der Generäle regte sich erst spät Widerstand. Im Frühling 1917 suchten Meutereien die französischen Gräben heim; Marschall Philippe Pétain sorgte für Erleichterungen, ließ zur Abschreckung aber auch Dutzende Poilus füsilieren. Bei den Deutschen demonstrierten Anfang August 1917 in Wilhelmshaven 400 Matrosen für ein Ende des Krieges - Vorboten des Kieler Matrosenaufstandes, der 15 Monate darauf das Ende des Kaiserreichs einläutete. Doch noch war es nicht soweit: Am 25. August wurden die “Rädelsführer” von Wilhelmshaven standrechtlich erschossen.

Die Kräfte schwanden erkennbar, doch in beiden Lagern ziemlich gleichermaßen. Um den Jahreswechsel 1917/18 standen sich so Deutsche und Alliierte an der Westfront längst wie zwei angezählte Boxer gegenüber, die nur noch die Hoffnung auf den “lucky punch” aufrecht hält.

In dieser Situation bekamen die Deutschen im Frühjahr 1918 einen starken Trumpf in die Hand. Nach dem Sturz des Zaren durch Lenins Bolschewiki in der Oktoberrevolution 1917 war Russland militärisch unter die Räder geraten. Mit dem “Siegfrieden” von Brest-Litowsk schied das Riesenreich Anfang März 1918 aus dem Krieg aus - für Deutschland das Ende des Zweifrontenkrieges und die Chance, bis zu eine Million Soldaten an die Front im Westen zu werfen.

“Dann muss Deutschland eben zugrunde gehen”

Allerdings war Kaiser Wilhelm II. und seinen Militärs ein Jahr zuvor auch eine fatale Fehleinschätzung unterlaufen. Die Seeblockade der Alliierten hatte im eiskalten “Steckrübenwinter” 1916/17 eine schwere Hungersnot im Reich verursacht; die Behörden waren sogar genötigt gewesen, den Verzehr gebratener Krähen als nahrhafte Alternative zum Hühnchen zu propagieren. Um die Versorgungswege wieder zu öffnen, hatte die Oberste Heeresleitung den im Mai 1915 eingestellten uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufgenommen - und damit die Kriegserklärung der USA provoziert.

Der neuen Allianz aber hatte das ausgeblutete Deutschland nichts entgegenzusetzen. Als einzige Chance blieb nun, schnellstens einen militärischen Sieg zu erzwingen, bevor US-Truppen in Flandern aufmarschierten. Es war die “letzte Karte” der Obersten Heeresleitung (OHL) unter Erich von Ludendorff und Paul von Hindenburg - einen Plan B gab es nicht mehr. “Dann muss Deutschland eben zu Grunde gehen”, war die Antwort Ludendorffs auf die Nachfrage von Prinz Max von Baden.

Und so mobilisierten die Deutschen im Frühjahr 1918 noch einmal alle Kräfte.

Ihre letzte Großoffensive stieß bis Ende Mai noch einmal bis an die Marne vor, nur ein paar Dutzend Kilometer vor Paris - genau dort hatten sie im September 1914 schon einmal gestanden. Und wie schon vier Jahre zuvor gelang es den deutschen Truppen auch diesmal nicht, die Entscheidung zur erzwingen. Mit Taxis hatten die Franzosen damals Reservisten an die Front karren lassen und die französische Hauptstadt vor dem Fall bewahrt - diesmal schlugen sie mit Tanks zurück. Gleich 400 der gepanzerten Monstren tauchten am 18. Juli vor den deutschen Linien bei Reims auf, als umgehende Antwort auf einen letzten, verzweifelten Vorstoß der Deutschen am Vortag.

Schnapstrinken statt angreifen

Hindenburg und Ludendorff hatten Vabanque gespielt und verloren. Die Disziplin der Truppe kippte, innerhalb von Tagen gingen die Soldaten über zu einem “verdeckten Militärstreik”, so der Historiker Wilhelm Deist. Schon beim Vormarsch hatten sie sich Zeit gelassen und erst einmal den Schnaps in den eroberten Depots des Gegners genossen; nun unterliefen sie Befehle, schützten Krankheiten vor und beschimpften nachrückende Reserveeinheiten als “Streikbrecher” und “Kriegsverlängerer”.

Und sie ergaben sich zum ersten Mal massenhaft den Alliierten, teils in geschlossenen Einheiten.

Am 8. August, dem “schwarzen Tag der deutschen Armee” (Ludendorff) gingen bei Amiens über 30.000 Deutsche in Gefangenschaft; für die OHL weitaus alarmierender als die 20.000 Gefallenen der Schlacht.

Am 14. August empfahl Ludendorff eine “strategische Defensive, um so den Feind allmählich zum Frieden zu bringen”.

Dann geschah das, weshalb sie im Frühjahr die Entscheidung um jeden Preis gesucht hatte: Die Amerikaner griffen mit voller Macht ein. Am 12. September trat südlich von Verdun zum ersten Mal eine komplette amerikanische Armee unter US-General John Pershing zum Angriff gegen die deutschen Linien an. Das Auftauchen der frischen und bestens ausgerüsteten “Doughboys” veränderte das Kräfteverhältnis unwiederbringlich zugunsten der Alliierten. Wenige Tage darauf brach auch noch das mit Deutschland verbündete Bulgarien zusammen.

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Die Mär vom “Dolchstoß”

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In seinem Hauptquartier im belgischen Spa flüchtete sich Ludendorff in manisch-depressive Wutausbrüche gegen den Kaiser, den Reichstag, die Marine und die Heimatfront. Die Auflösung des Heeres binnen Wochen und der Zusammenbruch, ja die Besetzung des Reiches durch die Alliierten waren nun ohne schnellen Waffenstillstand unausweichlich. Am 29. September bat die Oberste Heeresleitung den Kaiser und die Reichsregierung, bei den Alliierten um eine Waffenpause nachzusuchen.

Doch das Ausstrecken der diplomatischen Fühler zog sich einen endlosen Monat hin, denn als Vorbedingung für Friedensverhandlungen verlangte US-Präsident Woodrow Wilson demokratische Reformen - und den Abgang des Kaisers. Während diplomatische Noten zwischen Berlin und Washington hin und her wechselten, wurde in der Reichshauptstadt in aller Hast die “Oktoberreform” durchgepeitscht, die aus dem von Militärs regierten Kaiserreich eine parlamentarische Monarchie machen sollten - eine höchst zwiespältige Entwicklung.

“In Deutschland waren Verfassungsreformen das beiläufige Nebenprodukt der Entscheidung, dem Krieg ein Ende zu bereiten”, urteilt der britischen Historiker Roger Chickering: “Der Vater der deutschen Demokratie war Erich Ludendorff.” Und der hatte alles Interesse, nicht selbst die schmachvolle Kapitulation zu verantworten.

Viel lieber überließen er und Hindenburg das den verhassten Zivilisten - und nährten anschließend die sie entlastende Mär vom “Dolchstoß”, den die “Novemberverbrecher” in den Rücken des “im Felde unbesiegten” deutschen Heeres gestoßen hätten.

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Es war eine dreiste Lüge, mit fatalen Folgen für die Akzeptanz der ersten deutschen Republik. Der bejammernswerte Erzberger in Compiègne - der nur Tage zuvor seine Frau und seine Sohn in der verheerenden Grippe-Pandemie von 1918 verloren hatte und dennoch gefahren war - hatte die unerwartet harten Bedingungen Fochs eigentlich nicht akzeptieren wollen. Es war Hindenburg gewesen, der ihn dazu gedrängt hatte. Und so beendete Erzberger mit seiner Unterschrift nicht nur den Krieg, er unterschrieb zugleich sein eigenes Todesurteil: Am 26. August 1921 wurde er von rechtsextremen Fanatikern auf offener Straße erschossen.

Während in Compiègne Erzberger noch mit sich rang, beschloss in einem pommerschen Lazarett ein 29-jähriger österreichischer Gefreiter, “Politiker zu werden” und die Schmach der Niederlage zu tilgen.

Zwanzig Jahre später stürzte Adolf Hitler die Welt in einen neuen Krieg. Der Weltuntergang hatte nur Atempause gemacht.

Von Hans Michael Kloth, in: Spiegel de vom 10. 11.2008, 23:5


Der Beitrag wurde am Donnerstag, den 1. November 2018 um 01:48 Uhr unter der Kategorie Vorstand veröffentlicht. Sie können die Kommentare zu diesem Eintrag durch den RSS 2.0 Feed verfolgen und selbst einen Kommentar schreiben.

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