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Lenas Tagebuch: Leningrad - Wie unbemerkt so ein Schreckenstag vergeht »
Es sollte aussehen wie ein Flugzeugabsturz:
1943 wollten Wehrmachtsoffiziere Hitler aus dem Weg räumen, sie lockten ihn nach Smolensk. Das Schicksal des Diktators schien besiegelt, doch dann kam alles anders.
Es sollte wie ein Flugzeugunglück aussehen. Adolf Hitler würde nach einem Frontbesuch in Smolensk die “Führermaschine” besteigen - und etwa eine halbe Stunde später, in der Luft, würde eine Sprengladung die “Condor” zum Absturz bringen.
Hitlers Tod als Unfall - das bot die Chance, dass der Kreis der Verschwörer noch eine Zeit lang verborgen bliebe. Vor allem würde ein “Unfall” helfen, “die politischen Nachteile eines Attentats zu vermeiden”, wie der Widerstandskämpfer und Jurist Fabian von Schlabrendorff nach dem Krieg schrieb. Nicht nur, dass ein Attentat auf den Diktator “angesichts der weichen und sentimentalen Gemütsart des Durchschnittsdeutschen Abscheu erregen” könnte. Auch NS-Gegner, die klar für die Entmachtung Hitlers waren, schreckten damals, im Frühjahr 1943, vor der Tat zurück.
Gegen drei Uhr nachmittags des 13. März 1943 startete die Focke-Wulf 200 am Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte in Richtung Ostpreußen. An Bord: Der “Führer” und die Bombe, deren Zeitzünder Schlabrendorff durch das Zerdrücken einer mit ätzender Flüssigkeit gefüllten Ampulle in Gang gesetzt hatte. “Hitlers Schicksal”, so Schlabrendorff, “schien besiegelt!”
Warum es dann doch anders kam, wird später dem Zufall oder dem Glück des Massenschlächters zugeschrieben, der in seinem Leben an die 40 mehr oder weniger konkreten Mordversuchen entging. Unglaubliches Glück hatte auch Schlabrendorff, denn sonst hätte er ob seiner eigenen Verwicklung die Geschichte vom militärischen Widerstand nicht erzählen können.
Dem geplanten Anschlag voraus gingen Monate und Jahre geheimer Gespräche, Abstimmungen und Vorbereitungen innerhalb eines wachsenden Kreises von Regimegegnern in und außerhalb der Wehrmacht, die der Wunsch nach einem Staatsstreich einte.
Die Entschlossenheit im Militär wuchs mit den Niederlagen und bekam einen Schub, als Hitler entgegen dem Rat seiner Generäle Stalingrad und den Kaukasus gleichzeitig erobern wollte.
Schlabrendorff pendelte in dieser Zeit zwischen Ostfront und Reichshauptstadt. Er hielt die Verbindung zwischen dem Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte und der Verschwörergruppe in Berlin. Die Spitze der Bewegung hatte einen Mann gesucht, der in der Lage war, “die Initialzündung”, wie sie es nannten, in Gang zu setzen. Dieser Mann hatte sich mit Henning von Tresckow gefunden.
Tresckow, Sohn einer preußischen Adelsfamilie mit erfolgreicher Militärkarriere, war anfangs ein Anhänger Hitlers gewesen. Doch nach der Ermordung der SA-Führung um Ernst Röhm waren ihm Zweifel gekommen. Er stand in Kontakt mit dem Widerstand und befürwortete ein Attentat. Noch dringlicher, seit er an die Ostfront versetzt worden war. Als Erster Generalstabsoffizier der Heeresgruppe Mitte hatte er systematisch Hitler-Gegner um sich versammelt. So holte er auch Schlabrendorff. Der Vertraute war Rechtsanwalt, Leutnant der Reserve und mit Tresckows Cousine verheiratet, 1942 wurde er sein Ordonnanzoffizier.
Die Niederlage von Stalingrad und die Vernichtung einer kompletten deutschen Armee hatten den letzten Ausschlag gegeben. “Von Kälte, Hunger und der Stärke der russischen Waffen bezwungen, starben Tausende von Menschen einen erbarmungslosen Tod,” notierte Schlabrendorff später. Ein “Verlust, der letzten Endes darauf zurückzuführen war, dass ein Dilettant in Vermessenheit und Wahn sich erkühnt hatte, die Rolle des Feldherrn zu spielen.” Hitler musste weg.
Nur musste er dafür erst einmal hin - dorthin, wo seine Gegner waren. Tresckow überredete seinen Oberbefehlshaber Günther von Kluge, den “Führer” ins Waldlager bei Smolensk einzuladen. Nach mehreren Zu- und Absagen traf Hitler am 13. März 1943 tatsächlich ein. Doch Kluge schwankte in seiner Haltung. Schließlich untersagte er seinen Offizieren, Hitler während des Essens zu erschießen. So musste Tresckow auf eine Alternative zurückgreifen, von der im Kern nur er und Schlabrendorff wussten.
Zwei Flaschen Cognac für Oberst Stieff
Schon Monate zuvor hatten sie sich Sprengstoff und Zünder besorgt. Solche, wie sie englische Flugzeuge für Agenten abwarfen und wie sie zuhauf vom deutschen Heer eingesammelt wurden. Sie waren unauffällig und geräuschlos zu bedienen, Tresckow und Schlabrendorff hatten damit geübt. Sie verpackten zwei Sprengkörper in einer Box, die der Größe nach zwei Cognacflaschen entsprach.
Während des Essens mit Hitler fragte Tresckow dessen Begleiter Heinz Brandt, ob er auf dem Rückweg ein Paket für Oberst Hellmuth Stieff mitnehmen könne. Brandt sagte zu und so übergab ihm Schlabrendorff das angebliche Geschenk. Das Flugzeug startete und Tresckow und Schlabrendorff warteten auf die Meldung vom Absturz. Zwei Stunden lang - dann kam die Nachricht, Hitler habe sein Hauptquartier erreicht.
Etwas war schiefgegangen, und die Verschwörer hatten nun erst recht ein Problem. War es schon schlimm genug, dass das Attentat missglückt war, mussten sie nun mit ihrer Entlarvung rechnen. Denn der Empfänger des Päckchens war nicht eingeweiht. Tresckow bat Brandt telefonisch, das Paket nicht auszuhändigen - ihm sei da eine Verwechslung unterlaufen.
Unter einem Vorwand flog Schlabrendorff am Tag darauf zum Führerhauptquartier und nahm das Paket wieder in Empfang. Im Heeres-Sonderzug nach Berlin wagte er, die Kiste zu öffnen und fand bestätigt, dass die Zündung ausgelöst worden war - aber das Zündhütchen nicht entzündet. Von Probesprengungen wussten die Verschwörer, dass Kälte ein Grund dafür gewesen sein könnte.
Tresckow gab nicht auf. Er schickte Schlabrendorff in Berlin zum Hotel “Eden”, um sich mit Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff zu treffen, dem Mann, der ihnen den Sprengstoff besorgt hatte. Er sollte ihm das Paket übergeben. Gersdorff wollte nun selbst einen Anschlag verüben - nachdem ihm überraschend die Aufgabe zugefallen war, Hitler am 21. März in Berlin durch eine Ausstellung sowjetischer Beutewaffen zu führen.
20 Minuten sollte der Rundgang dauern. Gersdorff wählte einen Zeitzünder, der ihn nach etwa zehn Minuten in die Luft sprengen und den verhassten Mann mit in den Tod reißen würde. Wieder kam es anders: Hitler würdigte die Waffen kaum eines Blickes, in nur zwei Minuten war er durch die Ausstellung geeilt - und Gersdorff kurz darauf auf die Toilette, um die Bombe unter seiner Kleidung zu entschärfen.
Der Staatsstreich war abgesagt. Wenigstens für den Moment.
Rache, Verrat und ein Bombardement zur richtigen Zeit
Es war auch Gersdorff, der Sprengstoff und Zünder für das missglückte Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 verwahrte.
Am Tag darauf fuhr Tresckow an die Front, täuschte einen Schusswechsel vor und tötete sich mit einer Granate. Er war die treibende Kraft hinter dem Anschlag und sicher, dass man ihn foltern würde, um die Namen der Mitwisser zu erpressen.
Schlabrendorff wurde im August 1944 verhaftet. Für den 3. Februar 1945 war der Prozess gegen ihn vor dem Volksgerichtshof in Berlin angesetzt. Just an diesem Tag zerstörten US-Bomber das Gebäude, der berüchtigte Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler starb und Schlabrendorffs Akte verschwand. Die Verhandlung Mitte März endete mangels Beweis mit einem Freispruch.
Frei kam Schlabrendorff aber nicht. Ein Gestapobeamter erklärte ihm, das Urteil sei offenbar falsch - er werde erschossen. Ein Gefangenentransport brachte ihn ins KZ Flossenbürg, dann nach Dachau, in ein KZ bei Innsbruck, schließlich nach Südtirol, bis ihn Amerikaner befreiten.
1946 erschien sein Buch “Offiziere gegen Hitler” - das erste über den militärischen Widerstand gegen das NS-Regime. Schlabrendorff und Gersdorff gehörten zu den wenigen Überlebenden der Verschwörer.
Nach dem Krieg machte sie dies noch in einem anderen brisanten Fall zu glaubwürdigen Zeugen. Er reichte in das Jahr des missglückten Flugzeuganschlags zurück.
Nachdem sein Leben doch nicht mit einem Selbstmordanschlag geendet hatte, war Gersdorff Ende März 1943 in seine Dienststelle zurückgekehrt. Nach Hinweisen aus der Bevölkerung hatten Wehrmachtsangehörige in einem Wald westlich von Smolensk Massengräber entdeckt. Nun, da der Frost nachließ, konnten sie geöffnet werden. Als Chef der Abwehr in der Heeresgruppe führte Gersdorff die Dienstaufsicht bei den Exhumierungen nahe Katyn.
“Es handelte sich, wie meine Freunde und ich durch Augenschein feststellten, um polnische Kriegsgefangene von jenen polnischen Kavallerieregimentern, die niemals gegen Deutschland, sondern nur gegen Rußland eingesetzt worden waren”, berichtete Schlabrendorff.
Propagandaminister Goebbels hatte die Entdeckung der Tausenden durch Genickschuss Getöteten nutzen wollen, um mit Veröffentlichungen über die Greueltaten der Sowjets die Anti-Hitler-Koalition zu spalten. Doch Stalin beschuldigte seinerseits die Deutschen des Verbrechens und ließ das Massaker von Katyn bei Kriegsende auf die Anklageschrift der Nürnberger Prozesse setzen.
Dass dieser Punkt nicht zur Verhandlung kam, hatte nach Recherchen des Autors Thomas Urban mit Schlabrendorff zu tun. Dieser überzeugte die US-Ermittler offenbar davon, dass eine Beschuldigung der Deutschen im Fall von Katyn mangels Beweisen dem Erfolg des Prozesses schaden könnte und verwies auf den Zeugen Gersdorff. Dessen Bericht belastete die sowjetische Seite schwer, doch daran waren die Westmächte offenbar nicht interessiert und so landete er im Archiv. Die Sowjetunion bekannte sich erst 1990 zur Täterschaft.
67 Jahre nach dem missglückten Anschlag auf Hitlers Maschine, 2010, ereignete sich bei Smolensk tatsächlich ein Flugzeugunglück. Beim Absturz einer polnischen Regierungsmaschine starben Staatspräsident Lech Kaczynski sowie zahlreiche Repräsentanten des Landes. Sie waren auf dem Weg zu einer Gedenkfeier für die Opfer von Katyn. In Polen hält sich der Verdacht, dass es sich um einen Anschlag gehandelt haben könnte.
Quelle: Solveig Grothe, in: Spiegel de
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am Mittwoch, den 14. März 2018 um 00:22 Uhr
unter der Kategorie Vorstand veröffentlicht.
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