« “Fall Blau” 1942 - Der zweite Blitzkrieg, der Stalin vernichten sollte |
Nach 14 Tagen hatte die Wehrmacht gesiegt – fast »
Im Morgengrauen des 22. Juni 1941 ließ sich der deutsche Botschafter in Moskau bei dem sowjetischen Außenminister Molotow melden.Der Minister mußte aus dem Bett geholt werden.
Der Graf von der Schulenburg teilte ihm mit, daß sich ihre beiden Länder im Kriege miteinander befänden. Molotow war tief betroffen.
Er hätte darauf hinweisen können, daß noch in dieser Nacht die Züge mit russischen Warenlieferungen für Deutschland über die Grenze gerollt waren, pünktlich wie seit Monaten, doch er tat es nicht. Er sagte nur: „Das haben wir doch nicht verdient!“
Schulenburg mußte dem Minister die Antwort schuldig bleiben. Er vermochte auch nicht viel zu erwidern, als Molotow einige Worte von dem großen Unglück murmelte, das nun beginne. Sie entsprachen zu sehr Schulenburgs eigenen Befürchtungen. In seiner ganzen diplomatischen Laufbahn war ihm das Herz noch nie so schwer gewesen wie an diesem Morgen. Er hätte viel darum gegeben, wenn er des verhaßten Auftrags hätte entledigt werden können. Auch er wußte, daß nun ein großes Unglück über die beiden Länder heraufzog. Als er drei Jahre später versuchte, die schlimmsten Folgen aufzuhalten, mußte er mit seinem Leben dafür bezahlen.
Ungefähr in dem gleichen Augenblick, in dem Schulenburg dem sowjetischen Außenminister gegenüberstand, dröhnten auf der ganzen langen Strecke von der Ostsee bis zum Dnjestr die Geschütze. Der deutsche Angriff begann. Er war ein Überfall, auf Überraschung des Gegners gegründet. Sie gelang vollständig. Wenn auch die Russen seit langem Angriffsabsichten der Deutschen argwöhnten und starke Kräfte hatten aufmarschieren lassen, so hatten sie doch mit Tag und Stünde nicht gerechnet. Stalin hatte alle Warnungen und die genauen Angaben des Angriffstages in den Wind geschlagen. Aber die nicht eben zahlreichen deutschen Offiziere, denen es erlaubt war, an diesem Morgen die Lagekarte der ganzen breiten Angriffsfront mit den eingezeichneten Panzerkeilen zu betrachten, mußten gleichwohl schwere Sorgen hegen. Die Karte ließ eine tiefe Unsicherheit der operativen Überlegungen erkennen. So sehr sich auch die einzelnen Heeresgruppen bemüht hatten, in ihrem Bereich Schwerpunkte des Angriffes zu ermitteln, so trat doch, wenn man die 6 gesamte Frontlinie ansah, die Verzettelung der stärksten Angriffskräfte deutlich zutage. Es war anders als bei der West-Offensive im vergangenen Jahre. Damals hatte der Führer den großen. Plan Mansteins gebilligt, übernommen und nur leicht verändert. Damals hatte ein Teil der westlichen Armeen zunächst verhalten müssen und im Angriffsflügel in den Ardennen war ein Keil von überwältigender Wucht und Stärke gebildet worden. Heute aber war nicht mehr recht zu erkennen, wo eigentlich das Hauptziel des deutschen Angriffs lag.
Der junge Generalmajor Marcks, Sohn eines großen Gelehrten, der in der strengen Schule des Generalstabs die großen Vorbilder der Kriegsgeschichte nie vergaß, hatte nach dem vollen Lorbeer des Entscheidungssieges gegriffen. Ihm war aufgegeben worden, einen Operationsplan zu entwerfen, und er hatte die kühnste Möglichkeit gewählt. Der ganze Norden und die ganze Mitte sollte verhalten, ein mächtiger Panzerkeil aber im Süden nach Rostow vorstoßen, dann nach Norden eindrehen und nun die russische Hauptmacht von Osten her angreifen. Aber das Auge des Führers hatte nicht so gnädig auf diesem Plan geruht wie ein Jahr vorher auf dem Erich von Mansteins. Er verschwand in den Akten.
Verworfen wurde auch der Plan des Generalstabs selber. Der General Paulus hatte ähnlich wie Marcks einen Schwerpunkt bilden wollen; aber er und die anderen älteren Generäle, die seinen Plan gebilligt hatten, waren vorsichtiger als Marcks. Sie wollten vornehmlich die Mitte stärken, dachten aber nicht an ein Cannae für die ganze russische Feldarmee, sondern wollten zunächst bei Smolensk haltmachen, die erschöpften Truppen nach so langem Vormarsch sich erholen lassen, Ersatz heranholen und die überanstrengten Nachschublinien ausbauen. In mehreren Feldzügen erst wollte der Generalstab den Feind niederwerfen.
Hitlers vorwärtsdrängende Leidenschaft jedoch, sein durch den Sieg über Frankreich noch gestiegenes Selbstgefühl, seine Geringschätzung der russischen „Herdenmenschen“ verführten ihn zu der Zuversicht, es könne gelingen, das Weltreich in wenigen Monaten zu zerschlagen. Er wollte etwas Ähnliches wie Marcks, nur auf anderen Wegen.
Erbittert stritt er mit dem Generalstab darum, welches das Hauptziel des großen Vorstoßes sein müsse. Er lehnte es ab, das mittlere Rußland dafür ins Auge zu fassen.
Wenn der Name Moskau fiel, spürten die Gesprächspartner seine Gereiztheit. Störte ihn die Erinnerung an den Zusammenbruch Napoleons, der in Moskau begonnen hatte? Er sah nicht, daß für den Kaiser das Verhängnis nicht in der Wahl der feindlichen Hauptstadt als Ziel, sondern in der unendlichen Weite des russischen Raumes gelegen hatte, die dem Angreifer auch jetzt zum Verderben werden konnte.
Die Fachleute überlegten sich, wie sie die Streitkräfte des Gegners am ehesten zertrümmern könnten. Hitler setzte ihnen das Selbstvertrauen des Politikers – wie er glaubte, des Staatsmannes – entgegen.
In Leningrad sei die bolschewistische Revolution geboren, in Stalingrad habe sie 1919 ihren stärksten Triumph gefeiert, hier sei der Bolschewismus seelisch verwurzelt, hier sei er am sichersten zu treffen, und hier lägen die großen Wirtschaftsräume. Auf den beiden Flügeln also wollte er seine Angriffskräfte zusammenballen. Aber dann stiegen doch wieder Zweifel in ihm auf, ob die politische Erwägung den Erfordernissen eines Feldzuges noch gerecht würde; dann hörte er doch wieder, wenn auch nur mit halbem Ohr, auf die Einwände der Fachleute, dann gab er auch der Mitte starke Panzerkräfte.
So also entstand jene Lagekarte, die am Morgen des 22. Juni jeden militärisch geschulten Deutschen mit der Ahnung kommenden Unheils erfüllen mußte.
Vielleicht hätte Hitler doch seinen Operationsplan geändert, vielleicht hätte er sich für einen Entwurf der Fachleute, von Marcks oder Halder oder Paulus, entschieden, wenn er im Frühjahr schon so viel vom russischen Soldaten gewußt hätte wie wenige Monate später. Ihn verführte ein Wunschbild. Er sah im Bolschewismus nichts als die Tyrannei, er stellte sich das russische Volk als unterdrückt vor, voller Sehnsucht nach Befreiung. Die Russen würden nicht entschlossen kämpfen, glaubte er. Wenn man nur eine Zeitlang kraftvoll auf die russischen Armeen gehämmert habe, von der Ostsee bis zum Dnjestr, dann werde das russische Heer sich innerlich auflösen.
Schon träumte er von einer östlichen Wehrgrenze von Archangelsk bis zur Wolga, die nur noch von schwachen Truppen gehalten zu werden brauche. Nur für ein Fünftel des Heeres befahl er, Winterkleidung zu beschaffen. Die anderen, so versicherte er, würden im Herbst wieder zu Hause sein.
Hunderttausende seiner Soldaten haben den Irrtum mit schweren Erfrierungen bezahlen müssen.
Politische Wunschträume umgaukelten ihn auch, wenn die nachdenklichen, die kritischen unter seinen Beratern ihm vor Augen stellten, er sei im Begriff zu tun, was nicht zu tun er doch immer geschworen habe: einen Zweifrontenkrieg zu führen. Hitler glaubte nicht nur, daß er in wenigen Monaten die russische Macht niedergerungen haben werde und daß ihm dann die ganze Macht der deutschen Rüstung gegen England zur Verfügung stehen könne. Im vertrauten Kreise äußerte er auch, die britische Regierung, diese Verkörperung des Bolschewikenhasses, werde ihm die Freundeshand reichen, wenn sie erst begriffen habe, daß er nicht England, sondern die Sowjetunion zerschlagen wolle. Seit mehr als zwanzig Jahren hatte dieses Bild ihm vor Augen gestanden: das erstarkende Deutschland, das den großen kriegerischen Zug nach Osten beginnt, mit einem freundschaftlich gesonnenen, einem vielleicht verbündeten England im Rücken. Noch jetzt, da die Schlacht auf dem Ozean erbittert tobte und fast allnächtlich in beiden Ländern die Städte durch Bomben verwüstet wurden, noch jetzt klammerte er sich an die alten Wünsche.
Wenige Tage später hätte er begreifen müssen, daß er sich entscheidend geirrt hatte. Er hatte mit dem moralischen Zusammenbruch der Russen gerechnet, aber die Deutschen gerieten in Kämpfe von unerwarteter Schwere. Wohl gab es weiche Stellen in der russischen Front, wohl gab es darum auch Überläufer. Für viele Russen war Stalin wirklich ein Tyrann, und manche von ihnen glaubten den deutschen Flugblättern und Lautsprechern, die ihnen die Befreiung versprachen Aber größer war die Zahl der russischen Soldaten, die sich zäh und verbissen wehrten. Bolschewiken und Nichtbolschewiken vereinigten sich im Haß gegen den Eindringling, in dem glühenden Verlangen, ihre nationale Freiheit zu bewahren. Und dann kamen von Moskau die befeuernden Klänge, die den Kampfeswillen des letzten russischen Soldaten stärkten und die beispiellose Härte der Auseinandersetzung ankündigten, die nun begann.
Zwölf Tage freilich schwieg Stalin. Es scheint, daß er auf das tiefste erschüttert war, daß er an sich selbst zweifelte. Keine seiner überfeinen Berechnungen seit zwei Jahren hatte sich als richtig erwiesen, mit allen war er gescheitert. Er hatte kaltblütig warten wollen, bis Deutschland und der Westen sich verblutet hatten; dann wollte er die Ernte einheimsen; aber in wenigen Wochen war Frankreich zerschlagen worden. Er hatte den Deutschen in Jugoslawien einen Feind erwecken wollen, aber seit Wochen gab es keine jugoslawische Armee mehr. Er hatte den mächtigen, den gefürchteten westlichen Nachbarn durch Freundlichkeit versöhnen, den Angriff verzögern, vielleicht ganz verhindern wollen, und nun drangen die Deutschen immer tiefer in das Land ein. Nichts von dem, was er gedacht hatte, war eingetroffen. Sein weltpolitisches Bild begann zu schwanken. Dies waren die Tage, in denen er sogar die Amerikaner anflehte, ihm Divisionen zu schicken.
Aber Anfang Juli hatte Stalin sich wiedergefunden. Und nun drang aus dem Lautsprecher die Stimme, die seltsam nüchtern klang und dennoch Sätze voll heißen Hasses sprach.
Nun verbreiteten unzählige Zeitungsblätter seine erste große Kriegsansprache: „Unser Feind ist grausam. Er kennt kein Erbarmen. Er will euch zu Sklaven der deutschen Fürsten und Barone machen. In diesem Kampf geht es um Leben oder Tod. Dem Feinde darf kein Pardon gegeben werden.
In unseren Reihen gibt es keinen Raum für weinerliche Gemüter, für Feiglinge, für Panikmacher und für Deserteure. Überall da, wo wir zum Rückzug gezwungen sind, darf dem Feind keine einzige Lokomotive, kein Pfund Mehl und keine Kanne Benzin in die Hände fallen.
In den Gebieten, die vom Feind besetzt sind, müssen Partisanengruppen zu Pferde und zu Fuß gebildet werden. Der Feind muß bei jedem Schritt, den er tut, gejagt und vernichtet werden.“
Hitler hatte immer Respekt vor Stalin gehabt, er hatte in ihm die gleichartige Natur geahnt. Jetzt mußte seine Achtung noch erhöht werden angesichts der Tatkraft, durch die Stalins Persönlichkeit zum Symbol des Lebenswillens der russischen Nation wurde. Und zugleich mußten nun die Meldungen von der Front auch in dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht eine Ahnung davon hervorrufen, wieviel an rein technischer Widerstandskraft die Rote Armee ihrem Diktator zu verdanken hatte. Die Abteilung Fremde Heere Ost hatte getan, was in ihrer Macht stand, die Stärke der Russen zu ergründen, und aus der Nähe der Beobachtung hatte der deutsche Militärattache in Moskau seinen Führer davor gewarnt, die Russen zu unterschätzen. Aber was sich jetzt an der Front zeigte, ging weit noch über die Befürchtungen der kältesten deutschen Beurteiler hinaus.
Ungeheuer war die Zahl der Maschinengewehre, der Geschütze, der Panzer, den Deutschen weit überlegen. In dem schweren russischen Panzer, dem Vorgänger des berühmten T 34, trat ein Kampfwagen von besonderer, bisher ganz unbekannter Stärke auf. Und die Russen, vorgestern noch ein Volk von Pferdebauern, wurden wirklich mit den technischen Ungeheuern fertig.
Hätte noch die Rüstungsindustrie des Zaren hinter der russischen Armee gestanden, in wenigen Wochen wäre Rußland zusammengebrochen.
Jetzt zeigte es sich, was es hieß, daß Rußland das zweite Industrieland der Erde geworden war. Millionen von Menschen hatte Stalin sterben lassen, Millionen waren von ihren Bauernhöfen vertrieben worden und in den Arbeitslagern umgekommen; aber nun stand die Industrie, nun gab es auch genügend Fahrer, Monteure, Ingenieure. Das Bild, das sich den kommenden Geschlechtern bietet, ist von unheimlich-tragischer Ironie. Wäre Stalins System nach westlichen Begriffen menschlich gewesen, die Kraft der russischen Industrie hätte sich höchstens verdoppelt, nicht verzwanzigfacht. Wäre Stalin weniger grausam gewesen, hätte er nicht zweihundert Millionen versklavt, jetzt wäre sein Volk unter die Fremdherrschaft geraten und in die nationale Sklaverei versunken. In diesen Kriegsjahren erst wuchs Stalin zu der finsteren Größe der Iwane, die ihr Volk schunden und es von der Tatarenherrschaft befreiten.
Getrogen hatte auch Hitlers Hoffnung auf die Briten. Sie war nicht ganz unvernünftig gewesen. In England hatte es genug Leute gegeben, die in den letzten Jahren Hitlers Werk mit einigem Wohlwollen beobachtet hatten, weil sie in ihm ein Bollwerk gegen den Bolschewismus sahen. Aber der Mann mit der unbezähmbaren Kampfesleidenschaft, der jetzt das Weltreich führte, gehörte nicht zu ihnen. Churchill haßte den Bolschewismus, gewiß; aber erst wollte er Hitler entmachtet sehen.
Am Tage vor dem deutschen Angriff unterhielt er sich mit seinem Privatsekretär über die Möglichkeit eines deutschen Angriffs gegen Rußland. Der Sekretär meinte, dann werde der alte Bolschewikenfresser Churchill in eine peinliche Lage kommen. Aber der Premierminister war ganz vergnügt. Er kündigte dem Gesprächspartner die kommende Freundschaft mit Stalin an: „Wenn Hitler in die Hölle einmarschierte, so würde ich im Unterhaus sogar über den Teufel eine höfliche Bemerkung machen.“
Am folgenden Morgen waren die Nachrichten da, auf die Churchill so lange gewartet hatte. Er besprach sich sogleich mit dem Chef des Reichsgeneralstabs. Der britische General machte dabei eine Bemerkung, die festgehalten zu werden verdient. Wer heute von den Hoffnungen Hitlers erfährt, die er am Vorabend des 22. Juni hegte, wenn er liest, wie er die Einwände der Fachleute beiseite schob, der ist leicht geneigt, in seinem Verhalten darin einen Beweis für blutigen Dilettantismus zu sehen. Diese Annahme ist schwer zu widerlegen. Aber an dem Morgen des 22. Juni meinte auch der britische Fachmann, die Russen würden bald zusammengetrieben werden wie Vieh. Es gab wenige seiner Kameraden in der ganzen Welt, die nicht seine Ansicht teilten.
Churchill kümmerte sich jetzt nicht allzuviel um die Aussichten der deutschen Offensive. Das war eine Sorge von morgen. Im Augenblick kam es für ihn darauf an, daß Hitler das britische Spiel gespielt hatte, daß Großbritannien nun endlich, endlich wieder einen mächtigen Verbündeten auf dem Festland hatte. Churchill wußte auch genug von Hitlers Hoffnungen auf die britischen Bolschewistenfeinde, er mag auch manche Stimmung in seinem eigenen Lande geahnt haben. Er beschloß, alle solche Spekulationen zu zerschmettern.
Er tat es am Abend des 22. Juni im Rundfunk: „Wir werden uns nie auf ein Gespräch – mit Hitler einlassen, nie mit ihm oder einem aus seinem Lande verhandeln. Wir werden ihn bekämpfen zu Land, wir werden ihn bekämpfen zur See, und wir werden ihn in der Luft bekämpfen, bis wir mit Gottes Hilfe die Welt von diesem Scheusal befreit und sein Joch von den Schultern der Völker genommen haben. Daraus folgt, daß wir Rußland und dem russischen Volke jedmögliche Hilfe gewähren, die wir gewähren können. Die Gefährdung Rußlands ist unsere eigene Gefährdung. Lassen Sie uns unsere Anstrengungen verdoppeln und mit vereinter Kraft zuschlagen, solange uns Leben und Kraft bleiben.“
Nun hatte Hitler den Krieg, den er seit zwanzig Jahren herbeigesehnt hatte, den Krieg gegen die östliche Macht, auf deren weiten Ebenen er die Herrschaft über die Welt aufbauen wollte.
Aber er mußte ihn anders führen, als er es sich erträumt hatte: mit den angelsächsischen Mächten nicht als Freunden, sondern als erbitterten Gegnern. An dem Doppelkampf ist sein Reich verblutet.
Und während die letzten Illusionen über die Freundschaft mit den bewunderten, geliebten, gehaßten Briten zerbrachen, erhielt Hitler Hilfe von einer Seite, von der er sie wenig wünschte. Der italienische Diktator fügte dem schrecklichen Drama das Satyrspiel bei. Freilich, der Tod von Tausenden von Söhnen des italienischen Volkes, der sich jetzt schon abzeichnete, machte auch diese Komödie zu einem blutigen Spiel.
DerDuce fühlte sich vor allem durch den Gedanken bewegt, daß Italien stark und glänzend in den russischen Steppen auftreten müßte. Er bot Hitler einige Divisionen an; zögernd stimmte Hitler zu. Je deutlicher Hitler zeigte, wie unerwünscht ihm diese Hilfe war, um so mehr bestand Mussolini darauf. Wie ein soldatenspielendes Kind freute er sich über die großartige Ausrüstung seiner Truppen, die er in die fernen Gefilde Kleinrußlands verschickte. Den Skeptizismus der Fachleute fegte er hinweg. Sein Herz war bewegt von der freudigen Zuversicht, Italien werde sein militärisches Ansehen wiederherstellen.
Der Ring schloß sich. Die englische Freundschaft war für immer verspielt, die unerbetene Hilfe erwies sich als ein weiterer Schritt in das Verhängnis. Als anderthalb Jahre später Stalin mit seinen Marschällen beriet, wo man am besten die Angriffe ansetzen solle, um die Deutschen bei Stalingrad einzukreisen, fiel ihr Blick auf die Divisionen der Verbündeten, von denen Stalin mit Recht annahm, daß sie nur mit halbem Herzen kämpfen könnten. Mitte Dezember 1942 wurde nordwestlich von Stalingrad die italienische achte Armee unter dem russischen Stoß ebenso zermalmt wie drei Wochen vorher die Rumänen. Damit war das Schicksal der Armee Paulus besiegelt. Die Wende des Krieges kündigte sich für jedermann sichtbar an.
Eine erste Ahnung des kommenden Unheils ging schon in diesen Junitagen des Jahres 1941 durch das deutsche Volk. Es war bedrückt, noch bedrückter als im September 1939. Es sehnte sich nach Frieden, aber es sah nun einen neuen Feldzug von unabsehbarer Dauer mit unabsehbaren Opfern vor sich. Es wußte auch nichts von Hitlers Absicht, das riesige Land im Osten zu unterjochen, die Bevölkerung auszurotten, zu vertreiben oder zu versklaven. Es wollte nur nicht bolschewisiert werden. Deshalb folgte es doch wieder dem Rufe Hitlers, deshalb kämpften die Soldaten mit der altgewohnten Tapferkeit.
Die Deutschen glaubten ihrem Führer, daß die Bolschewiken einen großen Angriff zur Unterwerfung Europas beabsichtigt hätten und daß es gegolten habe, der Offensive zuvorzukommen. Selbst ein nüchterner Beobachter wie der Generaloberst Halder teilte diesen Glauben. Heute wissen wir, daß auch er irrte. So ging das deutsche Volk getäuscht in den Riesenkampf, an dessen Ende der Zusammenbruch des Reiches stehen sollte.
Quelle: ZEIT Nr. 26/1961 vom 23. Juni 1961, aktualisiert am 30. November 2012,
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am Montag, den 12. Juni 2017 um 17:58 Uhr
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